Pilotseminar Unfallrettung

Im Jahr 2017 erreichte die Zahl der Unfälle einen neuen Höchststand. Den endgültigen Ergebnissen der Verkehrsunfallstatistik folgend, erfasste die Polizei rund 2,6 Millionen Straßenverkehrsunfälle im Jahr 2017. Dennoch starben im Jahr 2017 3.186 Personen, so wenige Menschen wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 1953. Dennoch kamen 2017 im Straßenverkehr täglich durchschnittlich neun Menschen […]

Im Jahr 2017 erreichte die Zahl der Unfälle einen neuen Höchststand. Den endgültigen Ergebnissen der Verkehrsunfallstatistik folgend, erfasste die Polizei rund 2,6 Millionen Straßenverkehrsunfälle im Jahr 2017. Dennoch starben im Jahr 2017 3.186 Personen, so wenige Menschen wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 1953. Dennoch kamen 2017 im Straßenverkehr täglich durchschnittlich neun Menschen ums Leben. 323.659 Verkehrsteilnehmer wurden im Jahr 2017 verletzt.[1]

Die Verbesserung der Verkehrssicherheit ist vor allem auf die stetige Optimierung der Fahrzeugsicherheit zurückzuführen. Die lebensrettenden Sicherheitsausstattungen haben aber auch Einfluss auf die Vorgehensweise zur Rettung von Personen, denn mit der Weiterentwicklung der Fahrzeugtechnik steigen auch die Anforderungen für die Einsatzkräfte im Umgang mit den Unfallfahrzeugen.[2]Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist eine reibungslose Zusammenarbeit aller Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben unumgänglich. Denn die erste Stunde nach der Verletzung bestimmt maßgeblich die Überlebenschancen einer kritisch verletzten Person[3], so dass das gemeinsame Ziel aller an der Versorgung von Schwerverletzen beteiligten Personen lauten muss, den Notfallpatienten schnellstmöglich der optimalen Versorgung zuzuführen.Dazumüssen Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei Hand in Hand arbeiten.

Es kommt dabei nicht nur darauf an, die eigenen Aufgaben bestmöglich abzuarbeiten, sondern auch darauf, Verständnis für die Tätigkeiten der anderen Einsatzkräfte zu haben. Während sich Rettungsdienst und Notarzt auf die Stabilisierung der Vitalfunktionen, Schmerzbekämpfung und später auf die möglichst atraumatische Rettung und den zügigen sowie gleichzeitig schonenden Transport fokussieren, muss dies engmaschig mit den erforderlichen Maßnahmen der Feuerwehr im Rahmen der technischen Rettung abgestimmt werden. Basis der erfolgreichen Rettung ist eine heterarchische Organisation an der Einsatzstelle. Dies bedeutet nicht nur, dass es einer „ordnenden Struktur“ bedarf und die Aufgaben auf die einzelnen Rettungskräfte  klar verteilt sein mü
ssen, sondern viel mehr, dass Feuerwehr, Notarzt und Rettungsdienst auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Dazu müssen neben hochkompetenten Individualleistungen auch alle Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen im Interesse des Patienten getroffen und aufeinander abgestimmt werden. Wesentliches Steuerungselement ist dabei die dauernde Durchführung des Führungsvorganges.

Im Landkreis Südliche Weinstraße wurde nun durch Kreisausbilder Jens Dietrich und Timo Schädler (MegaMed Notfallmanagement GbR) ein entsprechendes Pilotseminar für Notärzte, Rettungsdienstmitarbeiter und Führungskräfte der Feuerwehr initiiert. Dabei wurde der Teilnehmerkreis in dieser Entwicklungsphase des Seminars bewusst selektiert, so dass alle Einsatzkräfte auf langjährige Erfahrung und Ausbildung im Bereich der technischen Rettung beziehungsweise der Notfallmedizin aufbauen konnten. Schwerpunkte der gemeinsamen Fortbildung waren neben der medizinischen Versorgung und der technischen Rettung auch die Kommunikation und Absprache an der Einsatzstelle. Ziel war außerdem die Arbeit der einzelnen Rettungsorganisationen transparent darzustellen, so soll zukünftig mit einer „gemeinsamen Sprache“ gesprochen werden.

Bei der Versorgung von Schwerverletzten hat sich aus medizinischer Sicht in den letzten Jahren die Beurteilung des Patienten nach dem so genannten „ABCDE-Schema“ als effektiv herausgestellt. Diese Vorgehensweise verhindert, dass auch unter den erschwerten Einsatzbedingungen und unter dem hohen Einsatzstress keine überlebenswichtigen Störungen von Organsystemen übersehen werden. Gleichzeitig können die Maßnahmen effizient priorisiert werden. Dem Notarzt respektive dem Mitarbeiter des Rettungsdienstes obligt es, neben der Absprache mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr vor allem, diese medizinischen Maßnahmen zu priorisieren und zum Teil auch selbst durchzuführen. Sein unmittelbarer Partner ist in dieser Phase der Versorgung der „Innere Retter“, – ein Rettungsdienstmitarbeiter oder ein Feuerwehrangehöriger mit rettungsdienstlicher Ausbildung –  der in unmittelbarer Nähe des Patienten im Fahrzeug ist, diesen überwacht und auch erste Tätigkeiten am Patienten durchführt. Dabei kommt der Sicherstellung der Oxygenierung des Notfallpatienten eine zentrale Bedeutung zu. Diese kann von der einfachen Applikation von Sauerstoff bis zur Einleitung einer Narkose mit Atemwegssicherung reichen. Bei einer schweren Verletzung des Brustkorbes, wird mitunter bei einem Spannungspneumothorax, eine Entlastungspunktion und gegebenenfalls eine Thoraxdrainageanlage erforderlich werden. Ein weiterer Eckpfeiler der Versorgung ist die Aufrechterhaltung einer suffizienten Kreislaufsituation, um die Versorgung lebenswichtiger Organe mit sauerstoffreichem Blut überhaupt zu gewährleisten. Neben der  Blutungskontrolle und dem Verhindern weiterer Blutverluste wird dies mittels Infusionen und kreislaufunterstützenden Medikamenten erreicht. Danach muss durch geeignete Immobilisierung, Lagerungsmaßnahmen und strikten Wärmeerhalt  gewährleistet werden, dass durch und während der Rettung kein zusätzlicher Schaden am Patienten geschieht. Ebenfalls sollte in einem frühen Verlauf der Versorgung des Patienten das geeignete und aufnahmebereite Traumazentrum feststehen. Ergibt sich doch daraus, ob beispielsweise einsatztaktisch ein Transport mit dem Rettungshubschrauber in ein weiter entferntes, aber besser geeignetes überregionales Traumazentrum sinnvoll ist. Nur bei einer frühen Alarmierung können die eventuell bestehenden Zeitvorteile sinnvoll und vollständig genutzt werden. Schwerste Verletzungen mit Blutungen in Körperhöhlen, wie den Schädel und das Abdomen, können erforderlich machen, dass besonders schnell und unter Abstrichen in der Versorgung vor Ort in das nächstgelegene, geeignete Krankenhaus transportiert werden muss.

In den kurzen Theorieeinheiten wurden während des Kurses das strukturierte Vorgehen am Traumapatienten nach den Vorgaben der S3-Leitlinie der Polytraumaversorgung, die Zuweisungskriterien für die unterschiedlichen Kliniken der Traumanetzwerke,  Neuerungen in der Traumaversorung, aber auch die strukturierte Teamkommunikation und Strategien zur möglichen Fehlervermeidung besprochen. Ebenso wurden aber auch die Neuerungen im Bereich der Weiterentwicklung der Karosserien, Werkstoffe und somit der technischen sowie taktischen Maßnahmen an den Fahrzeugen besprochen, da hier auch sicherlich weitere Anpassungen und Adaptierungen in den Ausbildungen erforderlich sind. Die Einsatztaktik ist aufgrund der komplexen Gesamtsituation bei schweren Verkehrsunfällen eng abzustimmen, denn auch das Vorgehen im Rahmen der technischen Rettung ist von vielen Einflussfaktoren abhängig. Neben dem Fahrzeugtyp spielen insbesondere Aufbau und Lage des Fahrzeuges sowie etwaige Zugangsmöglichkeiten und die Sicherungssysteme des Fahrzeuges eine wesentliche Rolle.

Sowohl im Bereich der Schwerverletztenversorgung, als auch bei der taktischen Umsetzung der technischen Rettung gibt es ständig Neuerungen, was eine regelmäßige Fort- und Weiterbildung erfordert. Daher trainierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Pilotseminars zunächst gemeinsam Fertigkeitstechniken im Umgang mit dem Spineboard sowie Fixierungsmöglichkeiten der Halswirbelsäule mit HWS-Kragen, Beckenschlinge und Rettungsboa. Im Anschluss folgte die praktische Umsetzung an Unfallfahrzeugen, inklusive Realzeitübungen bei denen die Einsatzkräfte das Szenario „Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person“ abarbeiten mussten. In der Vorbereitung wurde hierfür ein Audi A 6 „gecrasht“ und eine Simulationspuppe „präpariert“, um neben den notfallmedizinischen Maßnahmen auch eine reale Situation im Bereich der technischen Rettung zu simulieren.  Aufgrund der angenommenen schweren Verletzungen des Patienten waren die Raumaufteilung und die dynamische Veränderung des Patientenzustandes eine besondere Herausforderung. Im Rahmen der Übung wurde deutlich, dass die Einsatzkräfte der Feuerwehr auch während der Patientenversorgung die technische Rettung in Absprache mit dem medizinischen Personal weiter vorantreiben müssen, um zielstrebig eine schnelle Rettung des Patienten zu gewährleisten.

Die Kursteilnehmer konnten ein positives Fazit ziehen. Der gebotene „Blick über den Tellerrand“ überraschte auch erfahrene Einsatzkräfte und scheinbar alltägliche Arbeitsabläufe konnten weiter verfeinert werden. Neue Kurskonzepte wie diese können durch die Integration von gemeinsamem Lernen und Üben die Zusammenarbeit an der Einsatzstelle verbessern und damit das Outcome dieser Patientengruppe verbessern.

 

Johannes Becker, Leitender Notarzt d. Landkreises Südliche Weinstraße/ Stadt Landau(Pfalz)

Jens Dietrich, Kreisausbilder des Landkreises Südliche Weinstraße, Feuerwehr Landau-Land

Benjamin Hirsch, Pressesprecher der Feuerwehren der Verbandsgemeinde Landau-Land

Timo Schädler, MegaMed Notfallmanagement GbR, Notfallsanitäter, Feuerwehr Maikammer

 

[1]Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 230 vom 06.07.2017

[2]Vgl. Verband der Automobilindustrie

[3]Cowley RA: A total emergency medical system oft he state of Maryland

Veröffentlicht von: Marcel Endres